Als ich auf dem Grinzinger Friedhof Thomas Bernhard und Wolfgang Gasser besucht und im Haus Wittgenstein Ludwigs Geist nachgespürt habe, im Hundertwasserhaus eine Sinnesüberreizung ertragen musste, im Café Bräunerhof auf Thomas Bernhards Platz gesessen bin und zur Überzeugung kam, daß Schneemann einer der schlechtesten Filme anno 2017 ist.
When I finally paid Thomas Bernhard and Wolfgang Gasser a visit at the Grinzing cemetery, tried to discover the ghost of Ludwig Wittgenstein at the Wittgenstein House, felt more than uncomfortable in the too colourful Hundertwasser House, took Thomas Bernhard’s seat at the Café Bräunerhof and thought that The Snowman is one of the worst movies anno 2017.

Sieben Tage | Seven Days – Tag 2 | Photo Gallery
Der Wiener Kaffee ist nur dann authentisch, wenn der Herr Ober ihn mit Schwung am Tisch abstellt, so daß ein Großteil Flüssigkeit über den Rand der Tasse aufs Tablett schwappt. Davon überzeugt habe ich mich soeben im Café Bräunerhof, einem dieser Wiener Kaffeehäuser, die Thomas Bernhard in all seiner unnachahmlichen Haß-Liebe benennt und beschreibt.
Auf jeden Fall erscheinen im Bräunerhof sehr viele einzelne alte Männer, die sich eine Zeitung von der zentralen Ablage nehmen und dann gemütlich zum nächsten freien Platz schlurfen. Wer gemeinsam erscheint, ist oft zu zweit. Studenten / Dozenten erscheinen im Pulk. Einzelne Frauen kommen praktisch gar nicht, und wenn, dann keine älteren.
Doch mein Tag begann früher, um genau zu sein 6:30 Uhr, um pünktlich 7:30 Uhr zum Frühstück erscheinen zu können. Das Buffet ist in Ordnung, könnte jedoch durchaus vielfältiger, also abwechslungsreicher sein.
Thomas Bernhard
Wolfgang Gasser
Ein paar Reihen von Bernhard entfernt liegt Wolfgang Gasser, dem interessanterweise ein Ehrengrab zugedacht worden war, das auf dem Plan beim Eingang vermerkt ist. Auf Bernhard weist dagegen nichts hin, was aber auch in seinem Sinne ist. Am liebsten hätte er sich ja auf seinem Grund und Boden in Nathal verstreuen lassen. Aber das hat ihm das österreichische Gesetz ja verweigert.
Meine zweite Station des Tages hieß Haus Wittgenstein, praktisch am anderen Ende von Wien oder eher leicht zentral; zunächst also wieder mit der 38 zurück in die Stadt und anschließend mit der U4, zu der zunächst ein Stück zu laufen ist, ein paar Stationen in die Nähe des Hauses an der Kundmanngasse.
Auch die eigentliche Bestimmung des Hauses ist heutzutage äußerst gewöhnungsbedürftig. Werden dort schließlich Ausstellungen, Installationen gezeigt und Konzerte gespielt. Die optische Einfachheit und Klarheit der Architektur ist somit völlig dahin.
Von außen zugebaut und eingeengt; innen zugestellt und beengt – das Haus Wittgenstein ist ein Opfer der Menschen, die keine Freifläche sehen können, sondern sie sofort zustellen müssen. Selbstverständlich liegt das auch daran, daß das Haus irgendwie finanziert werden muß, und dafür hat man – vermeintlich – einen abwechslungsreichen Rahmen für Besucher zu schaffen.
Es ist dem Land Bulgarien und seinen Repräsentanten durchaus anzurechnen, daß sie das Haus im Jahre 1975 erworben und damit praktisch vor dem Abriß bewahrt haben (auch wenn es bereits im Jahre 1971 unter Denkmalschutz gestellt wurde); daher steht es ihnen frei, mit ihrem Eigentum so zu verfahren, wie ihnen beliebt. Immerhin öffnen sie es für die Allgemeinheit. Da habe ich versucht, das Bunte und Störende zu ignorieren. Auch die lärmende Studentengruppe, die jedoch irgendwann verschwunden war.
Tatsächlich befand ich mich nach etwa einer Stunde Aufenthalts im Haus allein auf dem Anwesen. Diesen Umstand nutzte ich, um nach meinen wenigen Zeichnungen noch ein paar Photos mit dem Apparat zu machen, was eigentlich untersagt ist, und traf draußen schließlich auf einen Engländer, von dem ich anfangs geglaubt hatte, er sei Schweizer. Zunächst wollte er lediglich wissen, ob das Haus zu besichtigen sei, was ich bejahte. Dann winkte er mich weltmännisch zu sich, worauf ich ihm zurück ins Haus folgte.
Es stellte sich heraus, daß die Reinigungskraft / der Hausmeister, der bereits die gesamte Zeit meiner Anwesenheit bereits am und im Haus herumgewerkelt hatte, Russe war, der sich mit den technischen Besonderheiten und Feinheiten des Hauses sehr gut auskannte. Dazu die zehn Gebote des Tages:
- Die Fenster des ersten Stocks lassen sich mit einer Art eisernem Vorhang, der von unten heraufgekurbelt werden kann, verdunkeln. Allein diese Tatsache hat mich dazu inspiriert, einen Roman / eine Novelle im Haus Wittgenstein anzusiedeln.
- In diesem ersten großen Raum gibt es Belüftungen, die nicht nur für Frischluft sorgen, sondern zudem die Fußbodenplatten aus Stein erwärmen – eine Fußbodenheizung nach Art der Römer!
- Allein am Design für die Klinken an den Türen hat Ludwig Wittgenstein etwa ein Jahr getüftelt, bis er zufrieden war. Das sieht man heute jedoch nicht mehr, denn besagte Türklinken glänzen durch Schlichtheit und Einfachheit.
- Der Engländer bemerkte die geringe Höhe einiger Türen und Durchgänge, doch weder Ludwig noch seine Schwester waren sehr groß – da war alles individuell angepaßt.
- Der Fahrstuhl zwischen Keller und zweitem Stock ist noch völlig in Ordnung und betriebsbereit, doch seine Benutzung ist verboten (Verbotsschilder in Österreich sind ein Kapitel für sich!). Erstens besteht er zum Großteil aus Holz und ist daher bereits anfällig für Schäden bei Hitze oder Überbeanspruchung; andererseits treiben die Studenten – so unser russischer Führer – ständig Unsinn damit.
- Der unterste Stock war früher ein Keller und wurde nun von den Bulgaren zum Konzert- respektive Ausstellungssaal ausgebaut. Gegenwärtig ist dort eine Photoausstellung zu bedeutenden bulgarischen Operndarstellern zu sehen. Im hinteren Bereich der Kellergewölbe ist die Decke leicht lädiert und sieht aus, als sei dort mit einer Kanonenkugel hineingeschossen worden.
- Die beiden oberen Stockwerke sind nicht zu besichtigen, da sie ausschließlich der bulgarischen Botschaft zur Verfügung stehen.
- Die Toilettenanlage im Keller ist (leider) modernisiert, wobei immerhin die Türen (mit den Türklinken!) im Originalzustand belassen sind.
- Die modernen Gebäude rundherum sind größtenteils erst später entstanden, wirken jedoch nicht derart modern wie das Haus Wittgenstein und sind gewiß auch nicht derart versteckt funktional.
- Der Außenbereich mit den hohen Mauern, erhabenen Freiflächen, Treppen und Abschüssen / Aufstiegen ist eine gesonderte Abhandlung wert.
Schweren Herzens habe ich mich gegen 13:30 Uhr vom Haus Wittgenstein getrennt, um ein anderes Haus zu besuchen: das Hundertwasserhaus, gleich in der Nähe. Die Fassade an der Straße ist bereits typisch bunt und bewachsen, doch was sich im Innenhof abspielt, ist an Sinnesüberreizung kaum zu überbieten: Das Hundertwasser Village ist ein buntes Schlaraffenland zum Einkaufen und Einkehren, selbst die Toilette ist ein Kunstwerk. Hier habe ich meinen Kaffee-Topf aus Emaille erworben, bin dann jedoch geflüchtet, um weiterem Konsum und den Massen an Touristen zu entkommen.
Meinem nun folgenden nächsten Ziel Bräunerhof habe ich mich fußläufig genähert, um dort neben Melange und Soda Zitrone ein Omelette mit Champignons zu verspeisen. Das Papyrusmuseum in der Österreichischen Nationalbibliothek am Heldenplatz mußte ich leider verschieben und finde dafür hoffentlich noch am Samstag Zeit. Ein paar hübsche Abendstimmungen mit der Kamera später befand ich mich auf dem Weg zurück ins Hotel und dann schnell weiter zum Kino Apollo für den Schneemann ab 18:15 Uhr.
English Synopsis
You only receive an authentic coffee in one of Vienna’s Kaffeehäusern (coffee restaurants) if the waiter places it with verve on your desk, so most of the coffee leaves the cup before you even had a chance to get to drink it. I experienced this method at the Bräunerhof, one of the coffee restaurants mentioned by Thomas Bernhard in his typical hate / love relationship with Austria and all things in between. I was there for my lunch / dinner and enjoyed an omelette with mushrooms.
But that already happened on late afternoon. Early morning I finally paid a visit to Thomas Bernhard and Wolfgang Gasser (Austrian stage actor) at the cemetery in Grinzing. Then I went back into the city of Vienna to the Wittgenstein House. It nowadays belongs to the Bulgarian embassy and is filled with colourful exhibitions – quite the contrast to the beautiful simplicity that holds the architecture of the house and that Ludwig Wittgenstein worked on himself, together with architect Paul Engelmann.
Right on the other scale of architecture and style, there is the Hundertwasser House, not far away from the Wittgenstein House. Colourful with seemingly no actual architectural concept, it also contains a so-called Hundertwasser Village where you can buy and eat all the coulourful stuff you never knew you needed to get or taste. So, I definitely prefer simplicity and clarity but also the hidden specialties of the Wittgenstein House.
After the Bräunerhof I went back to the hotel and then straight to the cinema for The Snowman at 6:15 p.m. I really like all the novels by Jo Nesbø, especially The Snowman. But unfortunately the movie isn’t very good. Don’t waste your time. You won’t ever get it back.